Flüsse, Bäche, Seen, Feuchtgebiete: Matthias Wantzen engagiert sich für die Erforschung von Gewässern und deren Erhaltung. Seit September 2023 wurde er auf die grenzüberschreitende Eucor-Professur „Wasser und Nachhaltigkeit“ (chaire d’excellence Eau et durabilité) berufen.
„Am Anfang der französischen Revolution stand der Hunger, am Anfang kommender Revolutionen wird vermutlich der Durst stehen. Wir brauchen einen schnellen und effizienten gesellschaftlichen Wandel in Richtung nachhaltiger und gerechter Wassernutzung. Bereits jetzt sind wir spät dran, und je länger wir warten, umso tiefgreifender werden die Maßnahmen für die Bevölkerung sein, was Gefahren für unsere Demokratie birgt“, sagt Prof. Karl Matthias Wantzen, der sein Lebenswerk der Gewässerforschung gewidmet hat.
Seine akademische Karriere begann 1992 in Deutschland, wo er die Verteilungsmuster wirbelloser Tiere im Flussbett des Rheins untersuchte. „Beim Chemieunfall von Sandoz in Basel hatten Pestizideinträge einen großen Anteil der Fische und Invertebraten abgetötet. Bei Untersuchungen auf 700 Rheinkilometern, bei denen Baggerschiffe und Taucherglocken zum Einsatz kamen, konnte ich zeigen, dass Tiere in bis zu einem Meter Tiefe in den Sedimenten vorkommen, von wo aus sie den Rhein später wiederbesiedeln konnten.“
Acht Jahre in Brasilien
Im Jahr 1993 verlässt der Wissenschaftler Deutschland, um in Brasilien seine Dissertation über die Auswirkungen der Landwirtschaft auf die Biodiversität in Quellgebieten zu verfassen. Es folgte ein Postdoc über Nahrungsketten im Pantanal. Als Koordinator eines wissenschaftlichen Kooperationsprojektes bleibt er acht Jahre in Südamerika und trägt zur Gründung eines Masterstudiengangs und eines Forschungsinstituts bei.
Nach einem Forschungsaufenthalt in der Schweiz habilitiert er sich an der Universität Konstanz und gründet eine Arbeitsgruppe, die sich mit der funktionellen Ökologie von Überschwemmungsgebieten von Flüssen und Seen beschäftigt. Sein Hauptanliegen ist es, zu verstehen, wie sich die physikalischen Bedingungen und die chemische Zusammensetzung des Wassers und das Leben der Organismen wechselseitig beeinflussen.
Im Weiteren forscht er am Bodensee, der den Alpenrhein und den Hochrhein miteinander verbindet. „Seit der Rhein durch den Rhein-Main-Donau-Kanal mit der Donau verbunden ist, gelangen invasive Arten aus dem Schwarzen Meer bis zum Bodensee.“ Im Jahr 2010 nimmt er einen Ruf an der Universität von Tours an, „Seit ich klein bin, fühle ich mich mit Frankreich sehr verbunden“, erzählt der mehrsprachige Forscher. In Frankreich widmet er sich der Erforschung des Flusses Loire.
Rettung der letzten Riesenflussperlmuscheln
Das Jahr 2014 stellt einen Wendepunkt für Matthias Wantzen dar. Er wirbt EU-Mittel aus dem Life-Programm ein, um die letzten Riesenflussperlmuscheln zu retten. „Einst kam diese Muschelart auch im Rhein vor, dort ist sie aber vor 150 Jahren ausgestorben. In einigen Flüssen findet man sie noch heute. Mit künstlicher Vermehrung, kann man die Art noch vor dem endgültigen Aussterben retten.“
Im selben Jahr er wird zum UNESCO Chair „Flüsse und Welterbe“ ernannt. Seine Erfahrungen im Globalen Süden bringt er in die Entwicklung eines Internationalen Masterstudiengangs ein, der sich mit Raumplanung und Nachhaltigkeit beschäftigt. Dabei lässt er Studierende aus Europa und Übersee in kleinen Teams zusammenarbeiten. „Eine meiner Aufgaben ist es, kulturelle Grenzen zu überwinden“, erläutert der Wissenschaftler und betont, wie wichtig es sei, dass Studierende lernen, kritisch zu denken und offen für Ideen anderer zu sein.
In Tours beginnt er, ein interdisziplinäres Buch mit dem Titel „River Culture: life as a dance to the rhythm of the waters” herauszugeben, an dem sich mehr als 120 Autorinnen und Autoren aus 25 Ländern beteiligen. Er zeigt auf, dass die Vielfalt menschlicher Kulturen in Überschwemmungsgebieten denselben Prinzipien folgt wie die biologische Diversität, aber auch den gleichen Bedrohungen ausgesetzt ist. Gemeinsam mit dem Artenrückgang von Süßwassertieren (laut WWF Bericht um 84 % seit 1970), verschwinden auch Kulturformen wie z.B. die artisanale Fischerei. Auch am Rhein gibt es kaum noch Berufsfischer und die Anwohner haben immer weniger kulturelle Verbindungen zum Fluss.
Für eine neue Wasserpolitik, die den Schutz von nicht-menschlichen Lebensformen berücksichtigt
Seit dem 1. September 2023 bekleidet Matthias Wantzen die grenzüberschreitende Professur „Wasser und Nachhaltigkeit“, die von der Universität Straßburg in Zusammenarbeit mit dem Karlsruher Institut für Technologie (KIT) eingerichtet wurde und von der nationalen Ingenieursschule für Wasser und Umwelt in Straßburg (ENGEES) unterstützt wird. „Während ich in Tours mit meinem Forschungsthema fast allein war, arbeiten hier mehrere Teams zusammen, insbesondere das Institut Terre et environnement de Strasbourg (Ites - CNRS/Unistra/Engees) und das Laboratoire image, ville, environnement (Live, Unistra/Engees/CNRS)", freut sich der Forscher und hebt auch den Vorteil des Eucor-Netzwerks und die enge Zusammenarbeit mit dem KIT hervor.
Im Bereich Forschung engagiert sich Matthias Wantzen in dem Projekt OneWater der französischen Exzellenzinitiative PEPR. „Hier geht es um interdisziplinäre Modelle für eine verbesserte Wasserpolitik, die auch den Schutz von nicht-menschlichen Lebensformen berücksichtigt. Außerdem setze ich mein Engagement für die Wasserversorgung in Brasilien fort. Sein Motto? Wir müssen die Funktionsweise der Flusseinzugsgebiete wiederherstellen. Flussgebiete müssen zur Messgröße für alle wasserpolitischen Entscheidungen werden. Kultur und biologische Strategien könnten Schlüssel zur Überwindung künftiger Krisen sein.“
Marion Riegert
Gut zu wissen
Die Professur „Wasser und Nachhaltigkeit“
Gefördert von verschiedenen französischen Institutionen (Collectivité Européenne d'Alsace, der Région Grand Est und der Eurométropole de Strasbourg) soll die Professur die Zusammenarbeit der fünf Mitgliedsuniversitäten von Eucor noch weiter intensivieren. Im Zentrum steht die angewandte Forschung zur Anwendung von nachhaltigen Hydrosystemen. Zu den Zielen gehören auch die Lehre und die gemeinsame Entwicklung von Projekten an der Schnittstelle von Wissenschaft sowie öffentlichen und privaten Partnern.
In diesem Rahmen wird derzeit ein neuer interdisziplinärer und internationaler Masterstudiengang über die nachhaltige Entwicklung von Binnengewässern entwickelt, der im Herbst 2026 starten soll. Die Absolvent*innen des Studiengangs werden einerseits Kurse aus den Ingenieurswissenschaften belegen und darüber hinaus lernen, Probleme zu erkennen und zu lösen sowie angemessen die Lösungsansätze zu kommunizieren. „Häufig gibt es Verständigungsschwierigkeiten zwischen Wissenschaft und Gesellschaft. Mangelnde Akzeptanz seitens der Bevölkerung kann jedoch ein Projekt blockieren. Es ist deshalb wichtig, Vertrauen zu schaffen.“
Matthias Wantzen plant, ein Marie-Curie-Projekt zu entwickeln, um fünfzehn Promotionsstipendien für wasserbezogene Forschungsprojekte einzuwerben. Es wurden bereits Kontakte mit der Eurometropole und dem Port autonome de Strasbourg geknüpft, um Orte der Begegnung zwischen Mensch und Natur zu entwickeln.